Schon seit der 10. Klasse war ich mir sicher, dass ich nach der Schule nicht gleich studieren möchte, sondern die Möglichkeit nutzen werde, mir ein bisschen die Welt anzuschauen. Schnell habe ich mich auch gegen die zwar schönen, aber von Deutschen überlaufenen, Länder Australien oder Neuseeland entschieden. Südamerika hat mich schon immer gereizt und nachdem ich dann eine Dokumentation über Chile gesehen habe, wusste ich, wo ich ein halbes Jahr verbringen möchte.
Das erste Problem war, eine passende Organisation zu finden, die einem eine Arbeitsstelle vermitteln kann und auch im Notfall vor Ort ist. Da Chile nicht so stark bereist wird und eben meist englisch-sprachige Länder als Work & Travel-Ziele bevorzugt werden, bieten nur wenige Organisationen so ein „exotisches“ Land an. Ich hab mich für „StepIn“ entschieden, womit ich wirklich sehr zufrieden war, weil sie immer schnell geantwortet haben, mich immer auf dem Laufenden hielten und mich vor allem an eine tolle Stelle vermittelt haben. An eine Surfschule, direkt am Pazifik.
Im November ging es dann mit der ganzen Familie zum Flughafen, zur großen Verabschiedung. In Santiago angekommen, ging es erst mit der Metro und dann mit dem Bus in das kleine Örtchen Maitencillo, an dem ich meine ganze Reise arbeiten und immer wieder zurückkehren würde. Mit mir arbeiteten noch zwei Chilenen, eine Deutsche und ein Italiener dort.
Normalerweise gestaltet sich Work & Travel so, dass man an jedem Ort, an dem man länger bleibt, sich einen neuen Job sucht und sich so den Aufenthalt finanziert. Bei mir war das etwas anders, da es mir so gut dort an der Surfschule gefallen hat, habe ich mir immer mal wieder für ein paar Wochen frei nehmen können und bin so durch das Land mit dem Bus von Hostel zu Hostel gereist und habe mir die Orte und Landschaften angeschaut, die mich interessierten.
Der Bus war für mich eine gute Option, da man in Chile (allgemein in Südamerika) wirklich sehr wenig zahlt. So habe ich beispielsweise für eine Strecke von 950 km ca. 12 € gezahlt. Dafür sind vor allem Lebensmittel in Chile nicht viel billiger als in Deutschland, da Chile doch ein recht teures Land ist im Vergleich zu beispielsweise Peru oder Bolivien. Allerdings sind hier auch die Standards sehr viel höher, wenn auch nicht vergleichbar mit den deutschen.
Allgemein muss man schon der Typ dafür sein, sich auf neue Dinge einzulassen, den ein oder anderen Kulturschock zu erleben und neue Leute kennen zu lernen. Ich habe mir das halbe Jahr in der Surfschule ein Zimmer, das kleiner als meins daheim ist, mit drei mir anfangs noch unbekannten Leuten teilen müssen. Natürlich ist dort wenig Raum für Privatsphäre und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich war nie genervt von den anderen. Aber in dem Moment ist es eben so und man lernt, sich mit gewissen Dingen zu arrangieren. Es gab im Haus keine Spülmaschine, nur eine Waschmaschine mit kaltem Wasser und ab und zu gar kein fließendes Wasser im ganzen Haus.
Früher hätte ich wahrscheinlich gedacht: „Wie können Leute so leben?“. Mittlerweile weiß ich, dass man es eben hinnimmt, dass es anderen noch viel schlechter geht, man das Beste daraus macht und vor allem weiß ich hier, jetzt sehr viele Dinge zu schätzen.
Ich hatte auch gerade am Anfang manchmal großes Heimweh nach meiner Familie, meinen Freunden und meinem Zuhause. Doch das ändert sich, je mehr du hineinwächst, dort Freundschaften schließt, dich auch unterhalten kannst und einfach ein neues Zuhause findest. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem du eigentlich auch gar nicht mehr zurück willst.
Gerade die Sprache spielt da meiner Meinung nach eine große Rolle. Ich habe in der Schule 3 Jahre Spanisch gelernt, dort angekommen war es aber vor allem im ersten Monat sehr schwierig. Chilenisch ist nicht das Spanisch aus der Schule und ab und an bin ich wirklich verzweifelt. Doch mit der Zeit habe ich immer mehr verstanden, habe mich mehr getraut, mitzureden, nachzufragen, wenn ich etwas nicht verstanden habe, und so würde ich jetzt behaupten, dass mein Spanisch so gut wie mein Englisch ist. Englisch kann in Südamerika übrigens fast keiner sprechen und wenn, dann nicht gut. Man kann sich, denke ich, schon irgendwie verständigen, allerdings würde ich Südamerika wirklich nur empfehlen, wenn man Spanisch sprechen kann oder zumindest Grundkenntnisse hat.
Am schönsten an der ganzen Reise, beziehungsweise das, was auch meine Reise ein Stück weit ausgemacht hat, waren die tollen und verschiedenen Leute, die ich kennen lernen durfte. Ich habe selten so hilfsbereite, offene und lebensfrohe Menschen kennen gelernt, die, selbst wenn sie sehr viel weniger als du haben, dir alles geben würden. Ich hab so viele aus ganz Chile an der Surfschule kennen gelernt, mich mit ihnen angefreundet und konnte sogar, wenn ich am reisen war, bei manchen schlafen oder mich mit ihnen zum Essen treffen.
Ich bin immer alleine gereist und so hab ich mich gefreut, wenn man mal eine Nacht nicht so ganz alleine verbringen muss und noch mit paar Leuten feiern gehen kann. Denn das Alleinsein mit dir selbst ist auch nicht immer einfach, aber man lernt so viel über sich selbst, weil du dich zwangsweise mit dir selbst auseinander setzen musst.
Für mich war diese „Auszeit“, der Ausbruch aus meinem Leben in Deutschland, die beste Entscheidung meines Lebens. Natürlich lief nicht immer alles rund und es gab Momente, da habe ich an mir gezweifelt, aber ich habe es geschafft. Ich habe so viele Erfahrungen gesammelt, neue Freundschaften geschlossen, ein anderes Leben kennen gelernt und mich vor allem in die Natur Chiles mit seinen Vulkanen, Gletschern, Wüste, Meer, Bergen und endlosen Landschaften verliebt. Ich war selten so glücklich wie dort, habe das Leben ganz anders genossen und andere Lebensweisen kennen gelernt, die mich sicher geprägt haben. Ich könnte noch ewig von Momenten dort erzählen, aber keiner wird verstehen, wie ich mich wirklich gefühlt habe.
Work & Travel in Chile zu machen, war die beste Entscheidung bislang in meinem Leben und ich weiß, dass ich wieder kommen werde, weil ich dort jetzt eine zweite Familie habe und es in Südamerika noch viel zu sehen gibt.
Chile, nos vemos.